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Fukushima: Menetekel und dramatische Warnung
zur Zeitenwende

26. April 2011, 25 Jahre nach Tschernobyl

Die Vorgänge um mehrere Atomanlagen in Japan und diejenigen, die die Atomkatastrophe von Fukushima betreffen,  haben bewiesen, was die Umweltbewegung – seit 40 Jahren, d.h. ungefähr seit der Gründung des BBU – immer wieder betont hat und in zahllosen, vielfältigen Demonstrationen und Veröffentlichungen dargestellt hat: die Nutzung der Atomenergie ist nicht beherrschbar und nicht verantwortbar.
Die primäre Folgerung, die sich  aus dem Katastrophensymbol „Fukushima“ manifestiert,  sollte also mindestens die sofortige und vollständige und weltweite Aufgabe der Nutzung dieser Technik sein.

Wer aber glaubt, allein mit einer atomfreien Energiepolitik das Versagen von Fukushima beantworten zu können hat zu kurz gedacht.
Denn in Fukushima ist nicht nur die Atomtechnik grundsätzlich gescheitert, das war sie bereits in Harrisburg und Tschernobyl.  Gescheitert ist in Fukushima, in diesem Land des ehemaligen Exportweltmeisters, in diesem Land, das zur weltökonomischen „Triade“ (USA, EU und Japan) gezählt wird, der hochfliegende Glaube an eine Technik und an ein Wachstum ohne Grenzen, der nun katastrophal auf den Boden der Tatsachen heruntergeholt worden ist.
 Welcher Größenwahn hinter dem Wachstumsmodell Japan steht, wird durch nichts deutlicher als durch die Standorte mit Vierfach-Reaktoren in einem schon immer von Erdbeben und Tsunamis bedrohten Land.

Die Atomtechnik stand schließlich für die scheinbare unendliche Machbarkeit von allem und jedem, allenfalls mit Restrisiken behaftet. Die Wirtschaft Japans steht bislang beispielhaft für die der Industriestaaten, die ungerührt von schwindenden Ressourcen, sich verknappenden Rohstoffen, sich verengender Aufnahmefähigkeit für ungebremste Schadstoffe und galoppierendem Klimawandel im Wesentlichen auf ein Weiter so! setzt. Insofern ist Fukushima ein Menetekel, eine drohende Warnung an die Regierungen der Industriestaaten,  innezuhalten bei ihrer Jagd und Gier nach den Schmierstoffen eines grenzenlosen Wachstums: Kapital und Profit und nochmals Profit.

Die ökologische und ökonomische Entwicklung der Welt in den letzten Jahrzehnten hat schon  immer wieder zu Forderungen nach einer „Great Transition“ geführt. Diese meint eine grundsätzliche Umwandlung unseres ökonomischen Systems weg von Wettbewerb, Markt und Wachstum, die einen wirklichen, sozialverträglichen Fortschritt bisher verhindert haben. Ihr Fortschritt war schon immer ein Fortschreiten von der Humanität, wie es Bert Brecht ausdrückte. Das Menetekel von Fukushima wäre Anlass genug, damit Ernst zu machen und den Weg der „Great Transition“ zu beginnen.

Hierunter ist zu verstehen, Wirtschafts- und Lebensweise den ökologischen Rand- und Zentralbedingungen unterzuordnen. Wenn Wirtschaftswachstum und Wohlstandsentwicklung weiterhin mit einem ungebremsten Energie- und Ressourcenverbrauch verbunden ist, dann werden ihre Grundlagen zerstört mit der Folge eines dauerhaften Niedergangs.

Doch allein eine Entkoppelung von Energie- und Ressourcenverbrauch vom Wirtschaftswachstum wird uns nicht weiter helfen. Die natürlichen Prämissen und Bedingungen für Wachstum müssen grundlegender betrachtet werden. Natürliches Wachstum findet immer in einem Gleichgewicht von Gedeihen und Vergehen statt – in der Summe findet kein Zuwachs statt. Insofern  ist und war der Gedanke, eine Wirtschaft müsse wachsen, eine historische Fehlleistung. Selbst die eigentlich einfache Überlegung vom Club of  Rome und den Autoren um Dennis Meadows von 1973, dass elementare Grenzen für wirtschaftliches Wachstum existieren,  wurde jahrzehntelang nicht ernst genug genommen. Nun ist der Punkt gekommen, an dem endlich ernst gemacht werden muss!

Der BBU schlägt  daher für den Anfang folgende Maßnahmen vor:

  1. Wie schon lange vergeblich gefordert: Sofortiger, weltweiter Verzicht auf Atomenergie in all ihren „zivilen“ und militärischen Formen; Stopp der gesamten diesbezüglichen Forschung.

  2. Einsparung von Energie in allen Verwendungssektoren durch technische und bauliche Maßnahmen und durch Verhaltensänderungen mit einer breitgefächerten Steigerung der Energieeffizienz auf allen Ebenen der Bereitstellung und Nutzung kombiniert mit dem auf breiter Front stattfindenden Einsatz erneuerbarer Energieträger.
  3. Überprüfung und gegebenenfalls konsequenter Verzicht auf weitere Risikotechnologien, bei denen ebenfalls wie bei der Atomtechnik die Risiken zu niedrig eingeschätzt wurden, und die sogen. Restrisiken auf die Bevölkerung abgewälzt wurden zur Profitsteigerung der Betreiber. Diese Risikotechnologien können  darin bestehen, dass  lokal begrenzte Vorhaben durchgeführt werden, die bei einem schwerwiegenden Unfall oder einer unvorhergesehenen Exposition erhebliche oder unkontrollierbare Folgen haben. Hierzu gehören die „grüne“ Gentechnik in der Landwirtschaft oder die unterirdische Lagerung von Kohlendioxid (Carbon Capture and Storage: CCS).
    In beiden Fällen ist  das Schadensausmaß der Eingriffe in die natürliche Artenvielfalt  einerseits bzw. bei CO2-Ausbrüchen oder Trinkwasserverunreinigungen andererseits nicht abschätzbar
    Auch die Produktionstechnik auf der Basis sehr giftiger Stoffe muss auf eine neue Grundlage gestellt werden. Ebenso wie das neuerdings favorisierte „Hydraulic Fracturing (Fracking)“ zur weitergehenden Ausbeutung von Erdgasvorkommen, welches zu unabsehbaren Verseuchungen des Grundwassers und zu Veränderungen der Bodenstabilität führen kann.
    Eine Gesellschaft, die sich an dem Schutz der Gesundheit der Menschen und der Umwelt orientiert, muss auf derartige Technologien verzichten.


  4. Einstellung des maßlosen Verbrauchs von Naturgütern und von Fläche, Beendigung der Zerstörung von Ökostrukturen und –systemen, sowie des Raubbaus in ihnen.

  5. Deutliche Korrektur der sich steigernden  Mobilität im Flug- und Kfz-Verkehr ohne Berücksichtigung der sich abzeichnenden Grenzen für die Bereitstellung von Treibstoffen und essentiellen Rohstoffen für den Fahrzeugbau:  Moratorium für den Straßenbau ; zusätzliche Besteuerungen der Flugzeug- und Kfz-Nutzung bei gleichzeitiger Steigerung eines kostengünstigen, sozialverträglichen  Angebots im öffentlichen  Personen-Nahverkehr.
    Deutliche Korrektur der energieintensiven, industriellen und klimaschädlichen landwirtschaftlichen Produktion in Richtung ökologischer Bewirtschaftung und Reduktion der ressourcenzehrenden und besonders klimaschädlichen  sogen. Tierproduktion. Dieser Prozess muss zu kurz-und langfristig die Gesundheit der Menschen stabilisierenden Lebensmitteln führen, sozialverträglich gestaltet werden und zu für alle bezahlbaren Nahrungsmitteln führen.


  6. Grundsätzliche Transformation des ökonomischen Systems weg von gnadenloser Konkurrenz in einem angeblich freien Markt, die zur Spaltung der Gesellschaften in Gewinner und Verlierer, in Reich und Arm, in Privilegierte und Nichtprivilegierte führt. Dies heißt: Aufbau von kooperativen, solidarischen  Gesellschaftsformen auf der Basis von Gleichheit, Recht auf Arbeit, bedarfsorientierter Grundsicherung, Recht auf menschenwürdigen Wohnraum, Recht auf gesundheitliche Fürsorge und das Recht auf Bildung.

  7. Als Einstieg in diesen gesamtgesellschaftlichen Prozess wird die Überführung der führenden Energiekonzerne in Gemeineigentum vorgeschlagen. Hierbei muss den Akteuren der Zivilgesellschaft wie Umwelt- und Naturschutzverbänden, Verbraucherverbänden, Eine-Welt-Initiativen, Erneuerbare Energie-Verbänden  etc. zukünftig eine beherrschende Rolle bei der Bestimmung der Politik der Konzerne z.B. in den Aufsichtsräten   zukommen. Die bisherigen Modelle der Überführung in Gemeineigentum, z.B. durch kommunale Beteiligungen sind hingegen als gescheitert zu betrachten.
    Dies  sollte der Start sein für den Aufbau einer vollkommen dezentral orientierten Energieerzeugung und –verteilung sein und kann Vorbild für die zukünftige Organisation der Gesamtgesellschaft werden.